Ausstellung “Lebendige Farben”

Dr. Josef Gülpers, Kunsthistoriker
Ausstellung “Lebendige Farben” am 27. Januar 2017, Galerie Hexagone, Aachen

Künstlerische Entwicklungen, welche die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Ich und die menschliche Seele in den Mittelpunkt des Schaffens gestellt haben, üben seit jeher eine besondere Anziehungskraft auf den Kunstbetrachter aus, sucht doch ein jedes das eigene Ich zu erkennen. Mythologische Phänomene als das lebendige Erbe unserer Existenz, verbunden und aktualisiert mit der gegenwartsbestimmten Sichtweise einer Künstlerin. Mit feinen Sinnen Erspürtes und kraftvoll Gedeutetes bilden einen Spannungsbogen, den Olga Stens in ihrer im Bild realisierten Botschaft vermittelt.

Olga Stens’ künstlerisches Denken manifestiert sich auf vielerlei Ebenen und in vielerlei Themenbereichen. In ihren Gemälden verlässt die Künstlerin bereits erkundete Ausdruckswege, um bei der Umsetzung ihrer künstlerischen Leitgedanken ein neues, weitläufig angelegtes Terrain fiir sich zu erobern.

Bereits ein erster Blick auf die Arbeiten Olga Stens’ zeigt, dass es ihr bei der Umsetzung ihrer Gestaltungsideen um wesentlich mehr als um die bloße formalästhetische Befragung geht.

Es geht Olga Stens um die existentielle Dimension ihres Kunstschaffens. Die Arbeiten deuten über das nur der Anschauung zugängliche, der rein visuellen Präsenz verpflichtete hinaus auf eine Metaebene der sinnlichen Erfahrung. Hinter den Arbeiten verbirgt sich eine existentielle Grundhaltung, die jedes einzelne Kunstwerk und dessen Ausdruckswert in ein komplexes, aus elementaren Lebenserfahrungen heraus entstandenes Gedankengebäude, das die eigentliche Basis für ein tiefgreifendes Verständnis ihres gestalterischen Vorgehens abgibt, einbindet.

Die Bilder sind bei aller scheinbaren Simplizität durch eine Verrätselung geprägt, die das Zusammenwirken formaler Erscheinungen für vielschichtige Interpretationsmodelle öffnet. Die Erkennung und die Auslotung von Erfahrungsgeschichten sollen eröffnet werden. Olga Stens begreift ihre Arbeiten als Körper in Analogie zu ihrem eigenen menschlichen Leib, sie sind Spiegel ihrer Seele. Sie nehmen Raum in sich auf, saugen ihn förmlich ein und führen den Blick in verborgene Winkel.

Olga Stens wird als Kind deutschstämmiger Eltern in Moldavien geboren. Ende der siebziger Jahre studiert sie in Sankt Petersburg, verlässt 1997 ihre Heimat und lebt seitdem in Deutschland.

Seit ihrer frühesten Kindheit beschäftigt sie sich mit Kunst. Als diplomierte Erzieherin malt, bastelt und werkt sie mit Kindern. In zahlreichen Kursen und Lehrgängen, sowie im Selbststudium eignet sie sich die Technik an, um, wie sie sagt, das Leben und die Natur mit ihrer Fantasie zu verbinden und künstlerisch umzusetzen. Das Malen verleihe ihrem Leben Struktur und Sinn. In den Erfahrungen und Erlebnissen ihres Lebens liege die Inspiration ihrer vielfältigen Themen begründet.

Mal lehnt die Künstlerin sich an klassische Vorbilder an, mal greift sie biblische und historische Themen auf, dann wieder porträtiert sie Menschen aus ihrem Bekanntenkreis oder fremde Personen, die intensiv ihren Lebenslauf beeinflussten, wie zum Beispiel das Porträt eines ihrer Lieblingsschauspieler Sean Connery, oder sie malt die fruchtbare Landschaft, die sie im ländlichen Erkelenz unmittelbar umgibt.

Zumeist arbeitet die Künstlerin nach Fotografien, die sie entweder selbst schießt, oder in Zeitungen bereits fertig vorfindet. Auch lässt sie sich gerne von den großen Meistem der Kunstgeschichte inspirieren, wobei sie versucht, die Kunst der Vergangenheit mit der der Gegenwart zu verbinden.

Arbeiter
Das Malen, so sagt die Künstlerin, sei ihr wie ein zusätzlicher, sechster Sinn, der die Eindrücke ordnete und neue Bilder in ihr entstehen lasse. Szenen erhielten einen Völlig neuen Kontext, mit andersartigen Bewegungsabläufen und unterschiedlichen Empfindungen. Die Malerin hebt einzelne Szenen aus der Masse heraus, isoliert sie und setzt sie in einen neuen Bedeutungszusammenhang, so wie sie sie als zartsinnige, sensitive, sensible Künstlerin empfindet.

Zumeist sind dies von anderen Menschen verachtete Kleinigkeiten, als unbedeutend verschmähte Momentaufnahmen, die erst durch ihr künstlerisches Wirken zu Bedeutung gelangen und erst auf diese Weise Emotionen und Gefühle, die ansonsten in der anonymen Masse unsichtbar und ungesehen blieben, aufzeigen.

Olga Stens arbeitet überwiegend mit Ölfarben und schafft auf diese Weise leichte, transparente und luftige Werke, die an die Impressionisten erinnern. Dem Ausdruck menschlicher Gefühle und dem Studium der Charaktere wird größte Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei analysiert die Künstlerin diese mit Zurückhaltung und Takt, verzichtet auf großartige Gesten.

Eine Dorfstraße, Vögel und andere Tiere, ein alte Mühle und Berge. All dies sind Themen, die Olga Stens interessieren und aufgreift.

Als im vorigen Jahr der Osten Deutschlands unter gewaltigen Überschwemmungen litt, ließ die Künstlerin sich von einem Zeitungsbild inspirieren, auf welchem ein junger Soldat ein Kleinkind mit einem Schnuller im Mund aus den Fluten rettet. Liebevoll hält er mit sicherem Griff das Kind im Arm.

Durst
Auch politische Themen sind bei Olga Stens zu finden, Das Bild ‘Durst’ zeigt drei afrikanische Kinder, die aus einer verschlammten Pfütze Wasser in eine Flasche füllen. Ebenso wie die Arbeiter-Bilder mit den entmenschlichten Arbeitsbedingungen, den Arbeitslosen, die warten und hoffen.

Die Musik spielt eine bedeutende Rolle in Olga Stens’ Leben. Bei der Arbeit lässt sie sich inspirieren, aber auch in den Bildern thematisiert sie die Musik. Bei der jungen Frau mit dem Saxophon wirkt besonders der Hintergrund wie eine ins Bild gesetzte Melodie.

Neue Madonna
Eine junge Frau, auf einem Feldweg hockend und ihr Kind liebkosend auf den Knien haltend, inspiriert Olga Stens zu einem weiteren Gemälde in Öl, welches sie als eine neue, als eine moderne Madonna bezeichnet. Anstelle eines blauen Gewandes wie die Gottesmutter ist sie mit T-Shirt und Jeans bekleidet, aber ihr Blick scheint ebenso fragend wie der Marias in die Ferne gerichtet, was wohl die Zukunft, das Schicksal für ihr Kind bereithält.

Auffallend ist, dass bei den doch so unterschiedlichen Themen und den so unterschiedlichen Vorbildern eines immer gleich bleibt: Die Bilder Olga Stens sind fröhlich, lebensbejahend, farbenprächtig und voller Hoffnung. Sie fängt das Licht eines Augenblicks ein, sie kreiert eine zuversichtliche, optimistische Atmosphäre.

Die Flachsblütenfelder bei Beeck bezeichnet die Künstlerin als “Schneeflocken, die nie auftauen können”.

Nicht von ungefähr sind die Impressionisten und allen voran Vincent van Gogh ihr großes Vorbild. Und dennoch kopiert sie dessen Bilder nicht.

Die Sonnenblumen, die auf den ersten Blick wie eine Kopie erscheinen, sind ein eigenständiges Werk der Künstlerin, in dem sie das Motiv und den Stil des großen Niederländers aufgreift.

Und die Künstlerin fängt tatsächlich die Atmosphäre ein, als habe sie sich die Worte van Goghs zu eigen gemacht: “Ich denke daran, mein Atelier mit einem halben Dutzend Sonnenblumenbildem zu schmücken, eine Dekoration, bei der die grellen oder gebrochenen Chromtöne auf verschiedenen Hintergründen erstrahlen werden, auf blauen, vom mattesten Veroneser – bis zum Königsblau, von dünnen, mit Rot-Orange bemalten Leisten eingerahmt.”

Und weiter schreibt van Gogh in einem Brief an seinen Bruder: “Wenn ich also diesen Plan ausführe, wird es ein Dutzend Bilder geben. Das Ganze eine Symphonie in Blau und Gelb. Ich arbeite jeden Morgen von Sonnenaufgang an. Denn die Blumen verwelken schnell, und das Ganze muss in einem Zug gemalt werden.”

Die Blume versinnbildlicht hier die Sonne, die van Gogh wie auch Olga Stens als Symbol des Lebens verstanden und so auch in etlichen Werken dargestellt hat.

Noch stärker als bei den Sonnenblumen, ist diese Hinwendung bei den herrlichen Rapsfeldem zu spüren. Wer fühlt sich bei den kräftig gelb blühenden Rapsfeldern nicht an die sonnendurchfluteten Landschaften und an die im Wind wiegenden Weizenfelder van Goghs erinnert, die dieser in seinen beiden letzten Lebensjahren in der hitzeflirrenden Provence schuf?

Die Farben und die Atmosphäre der Provence versetzte die Künstlerin in die Landschaft um Erkelenz.

An ihr großes, leuchtendes Vorbild Vincent van Gogh erinnert nicht nur die Farbenpracht ihrer Gemälde, sondern auch ihr Eifer beim Malprozess. Es kann durchaus geschehen, dass Olga Stens, wenn sie eine Bildidee nicht loslässt, mitten in der Nacht aufsteht, ihren Malkittel anzieht und die Farben auf der Palette anrührt, bis ihr Mann sie am frühen Morgen an der Staffelei findet.

Lebendige Farben!